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Blog-Archiv

√Roots

Heimat ist...
... "da, wo man sich aufhängt" - Thomas Bernhard
... where your heart is
... ein Fragebogen von Max Frisch {Derselbe Autor, der einen Protagonisten erschuf, der Brandstifter dessen Hab und Gut hat abfackeln lassen}
... kein Ort, sondern ein Gefühl
... nicht das Ziel, sondern der Weg
... der Himmel
... und war und wird

Der Fischer nebenan schleuderte jeden Morgen eine Schaufel Nichts mit einer schwungvollen Armbewegung auf den Teich. Er hatte nur zwei Teiche und keine Angestellte, keine Familie und saß deshalb an Weihnachten bei uns. Die Fische tanzten an der Wasseroberfläche, runde Münder schnappten nach dem unsichtbaren Futter, das beim Auftreffen auf der Wasseroberfläche plötzlich sichtbar wurde. Ich wachte jeden Morgen vom Gebrüll seines Hahns auf, und ich nahm es ihm nicht übel. Die Sonne reflektierte sich im Raureif auf den Feldern und erweckte den Tag. Dort, wo ich her komme, das ist ein Landstrich mit Bergen und Touristen, die auf eigene Faust die Berge bezwingen, denn dieser Ort symbolisiert Freiheit, und da hat man keine Reiseleiter. Unser 200-Seelen-Dorf war von einer natürlichen Vegetationspalisade aus Bergen eingekesselt, und ein kleiner Fluss schlängelte sich durch das Tal, das nach ihm benannt wurde. Es dauerte 20 Minuten, um zum nächsten Bahnhof zu kommen. Man trat seine Zigarette aus um Feldbrände zu vermeiden. Bräune zeugte nicht von Modebewusstsein oder Ästhetik. Graffitis an der einzigen Bushaltestelle im Radius von 30km waren der einzige Bestandteil an moderner Selbstzerstörung dieser Gemeinschaft. Die Kühe waren braun und schwarz gefleckt, nicht lila. Und jeden Abend setzte man sich auf den Fenstersims und wettete, welches Wetter es am nächsten Tag geben würde. Der Sternenhimmel war kein Wandplakat vom Karstadt und Sterne waren Wegweiser, wenn man sich verirrte. Der Geachtetste war nicht der Mann, der sich dem Schlund des Bildungssystems mit dem höchsten NC entwinden konnte, sondern der Dorfälteste, der sogar noch die alte Lide am Dorfbrunnen als Samen in Erinnerung hatte, sowie all die biblischen Geschichten und Mythen um wandernde Passanten, die in Wahrheit Heilige gewesen sein sollen.  Und die kleine Kirche und deren Pfarrer waren das Zentrum allen Lebens. Jeder wusste alles von jedem. "Weißt du schon das Neuste" war unvermeidbar, und wenn man das Neuste noch nicht wusste, wusste man es kurz danach. Nur eines, das wussten sie alle nicht. Der Mythos von Kindesmisshandlung war keine Großstadtpsychose, und die Frau vom Kirchenvorstand, sie nahm sich Jesu' Blut auch ohne Oblaten an.
Ich lernte laufen und sprechen, bevor ich dachte - das taten andere für mich. Ich wache auf und denke an Kriege zurück, die nicht waren. Ich sitze im Alter von 17 Jahren im Zug und lese Rotkäppchen und der böse Wolf, und Schneewittchen und all die Märchen, die mich an das Gute glauben lassen, das mir einst vorbehalten war. All die ersten Male, an ihnen fokussierte ich das Weltbild, und jetzt dreht sich alles nur noch um die letzten Male.

"Beim Kind versucht der Körper, sich an den Füßen zu orientieren. 
Beim Erwachsenen versuchen die Füße sich am Körper zu orientieren."
aus 'Die Lehrgeschichten von Milton H. Erickson'

13 Kommentare:

  1. irgendwie schön, irgendwie anti-schön...

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  2. Sehr anspruchsvoller und vor allem schöner Text!
    Danke für deine lieben Worte , das hat mir Kraft
    gegeben ♥

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  3. Es soll nicht unangemessen klingen, aber ich freue mich fast schon jedes Mal, wenn du so einen "persönlichen" Text schreibst. Das sind mir die liebsten Texte von dir, weil sie so offen sind, und so schonungslos, bei den anderen bemühst du dich um Objektivität; aber wenn du im Zentrum stehst, bekommt man einfach immer das Gefühl vermittelt, dass es dein Herzblut ist, mit voller Ehrlichkeit und roten Blutkörperchen.
    Ich hoffe, es geht dir gut.
    Billie :)

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  4. die Überschrift ist irgendwie ziemlich genial...

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  5. Schau mal in dein Email-Postfach (:

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  6. Wow, so viel... so viel. Wahrheit, messerscharfes Verstandenes, begründete Gefühle. Als hätte ich genau das gleiche sagen wollen, nur bin ich tausendmal gescheitert, und wie auch, ohne diesen Rechenschritt zu kennen, die Wurzel?
    Irgendwie ist das so unendlich und tief traurig, aber immer wieder muss man einen Schritt zurück machen und über die Ästhetik staunen und wie kantig, kontrastreich, verwaschen-grün-verhangen dieser Text ist.
    Vielleicht können uns die Worte sogar doch noch irgendwann retten. Und wenn sie es nicht tun, leistens sie uns da unten zumindest Gesellschaft.

    Zu deinen Kommentaren:
    Ich habe die Suche aufgegeben, aber Grenzen, die habe ich gefunden. Ein paar kleine, unscharfe, aber dennoch Sicherheit gebende Grenzen der Definitionsmenge. Das ist auch schon was. Nur fallen sie gerade wieder auseinander...
    Ich dachte bloß immer, ich gehörte da auch dazu, zu den Sprechern dieser Sprache und plötzlich verstehe ich sie nicht mehr. Eine andere habe ich nie gelernt - heißt das, verstummen?

    Der Satz, den ich zitierte habe, war ja ursprünglich von dir, oder meinst du etwas anderes? :)

    Mittlerweile funktioniert bei mir in Chrome auch gar nichts mehr. Wobei das ja alles Google-Produkte sind, zumindest beim eigenen Browser sollte schon was funktionieren!

    alles Liebe

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  7. Hey!
    Nach einer etwas längeren Bloggerpause hat sich meine URL nun geändert. Falls du meine Einträge weiterhin verfolgen möchtest, kannst du das hier:
    http://super-califragilistic-expialigetisch.blogspot.de/

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  8. Danke, denke ich auch.
    Was? Du auch? Cool!
    LG

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  9. ich will dich einfach nur in meine Arme schließen und nie wieder los lassen

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  10. Mal wieder ein Text, der in den Bann zieht! Ich lese so gerne bei dir, auch wenn es Themen sind, die nicht die Schokoladenseite der Gesellschaft wiederspiegelt.

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  11. Das ist so lieb von dir, ich möchte wirklich, dass du weißt, wie viel mir das bedeutet! Ich hoffe natürlich nicht in die Klinik zu müssen und es auf den letzten Drücker noch zu schaffen, meinen Eltern zu zeigen, dass ich mir wirklich Mühe gebe. Du hast recht, ich bin ihnen auch nicht böse, denn letztendlich sind sie immer noch meine Eltern, ich liebe sie und ich muss offen zu geben, dass auch ich sehr viele Fehler gemacht habe, da kann ich nicht nur ihnen einen Vorwurf machen, sondern auch mir selbst. Aber Vorwürfe sind der falsche Weg finde ich, wie du schon sagtest, sie machen sich Sorgen und das ist völlig normal, sie wollen das Beste für ihr Kind, wie die meisten anderen Eltern hoffentlich auch. Ich bin dir wirklich unglaublich dankbar und du weißt, schon dass du sagst, du bist immer für mich da hilft mir ungemein viel! Ich bin auch immer für dich da! Du kannst mich jederzeit anschreiben und ich werde versuchen so schnell wie möglich zu antworten & hoffe dir zumindest ein wenig helfen zu können. Wenn du Sorgen hast, schreib mich einfach an, zusammen ist vieles leichter zu bewältigen und ich bin mir sicher wir schaffen das. (: Wenn du magst kannst du mich auch auf Facebook adden, nur wenn du ein besseres Bild von mir haben möchtest. Link schick ich dir wenn per Mail , musst du nicht , war nur ein Gedanke weil man dann ein besseres Bild voneinander hat. :) Und tausend Dank nochmal für den lieben Text! ♥

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  12. http://schneematsch.blogspot.de/2013/08/imagine.html#comment-form

    ^ hier hast du den Satz in dem Kommentar geschrieben!

    Du hast einen Beitrag zur Sinn-Frei-Guerilla? Her damit! Du kannst mir eine E-Mail schicken: silver.rocket13@gmail.com

    Und danke für deine netten Worte. Manchmal scheint es geradezu ironisch, wie viel Nichts ich zu sagen hätte und nicht sagen kann, weil kein Wort diese Leere richtig ausdrückt. Nach der Antomaterie wird ja gesucht, aber genauso gut sind wir Antimaterie und die Antimaterie Materie, naja, das wird jetzt komisch :D

    Alles Liebe

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Vielen Dank für jeden Kommentar ♥
Ich behalte es mir allerdigs vor, Anfragen auf gegenseitiges Verfolgen etc entweder zu ignorieren, entzürnt zu reagieren oder es einfach zu löschen. Comprende?