HOME TUMBLR LESENSWERT ZEICHNUNGEN DISCLAIMER FOLLOW ARCHIV

Blog-Archiv

Schmetterlings-Effekt

Es waren ganz ganz viele Leute auf den Straßen. Flohmarkt in der Innenstadt von Nürnberg. Ich wollte auch ein bisschen herum schauen, hatte mich mit Ronnie und Sina an der Lorenzkirche verabredet. Es war seit langem mal wieder ein freier Samstag für mich, schon alleine meine Einstellung beim Aufstehen wirkte wie Urlaub. Gedanken können befreien, das merkte ich mehr denn je. Es schien ein bisschen die Sonne und ich  genoss die spärlichen Sonnenstrahlen auf meinem Rücken. Sie versprachen Lust auf mehr. Auf dem Weg vom Hauptbahnhof zur Kirche entdeckte ich einen Obdachlosen auf einem der viereckigen Mülleimer sitzen. Ich blieb stehen, so sehr faszinierte mich dieses Bild. Er saß mit dem Rücken gegen den Strom der Menge, die sich konstant weiterbewegte. Wie ein Fels in der Brandung. Auf seinem Rücken stand mit grell-gelber Schrift: Fuck you all. Kurz überlegte ich, ob ich die Kamera zücken sollte und den Moment festhalten sollte, in Schwarz-weiß wäre es ein wunderschönes Bild, dachte ich mir. Aber ich ging weiter. Sollte ich umdrehen, fragte ich mich immer wieder. Plötzlich riss mich jemand aus meinen Gedanken. Ein Hi gab mir von links einen Seitenhieb. Ein How are you? bohrte sich in die frische Wunde. I'm fine. And you? fragte ich zurück. Wir hielten Smalltalk im Gehen. Er wollte einen Kaffee mit mir trinken. No, sorry, I'm gonna meet friends here. They should be here in a few minutes. Er wollte mit mir am Tag darauf einen Kaffee trinken. No sorry, tomorrow I will go to the Tattoo Convention. Er wollte wissen, ob ich Single bin. No, I've got a boyfriend, stotterte ich, was meine Authentizität in diesem Moment schlimmer verzerrte als jede Lüge. Er wollte mich besser kennen lernen. My boyfriend would be very upset if I talked with you. Er wollte meine Nummer haben. Give me your number and I will decide if and when I call you. Meine Stimme wurde immer zittriger. Dieser Mann hatte eine unglaublich dunkle Ausstrahlung, so gefährlich und einschüchternd. Mit seiner Hartnäckigkeit trieb er mich immer mehr in die Enge und schließlich wollte ich ihn einfach nur noch los werden. Ich speicherte seine Nummer ein, mit dem Gedanken, sie gleich danach zu löschen. Er wollte, dass ich ihn anrufe, um zu sehen, ob die Nummer richtig sei. Meine Synapsen reagierten nicht schnell genug. Im nächsten Moment erstellte er schon einen neuen Kontakt mit meiner Rufnummer. Mein Herz schlug schneller. Ein Szenario schoss mir sofort in den Kopf. Er würde anrufen. Er hat meine Nummer. Ihm ist es möglich, Kontakt zu mir aufzubauen. Ronnie und Sina standen auf einmal neben uns. These are the friends I told you I was waiting for. Ich umarmte beide und Ronnie schien sofort zu kapieren, was los war. Sie musterte den Typen, der sich mir als Thomas vorgestellt hatte, und würfelte einen Satz in ihrem gebrochenen Englisch hin, dass wir uns beeilen müssten. Thomas gab mir seine Hand und flüsterte lächelnd See you soon. Ich verschluckte mich an der Luft und sagte nichts, sondern ließ mich nur von Ronnie weg ziehen. Ich hatte für die nächsten Stunden ständig das Gefühl, beobachtet zu werden und an jeder Hausecke schien mir das gruselige Lächeln von Thomas zu begegnen. Es war wohl nicht aushaltbar mit mir. Ich verabschiedete mich viel früher als geplant von Ronnie und Sina und machte mich auf zum Bahnhof. ich wollte nur noch heim. Kurz vor der Unterführung zum Bahnhof saß dort ein Mann, den Rücken zu mir gedreht, sodass ich die grell-gelben Lettern schon von weitem entziffern konnte: Fuck you all. Und ich fragte mich, ob die halbe Minute, die ich gebraucht hätte, meine Kamera aus der Tasche zu ziehen, den Fokus auf den Rücken dieses Obdachlosen zu richten, abzudrücken und die Kamera im Laufen wieder einzustecken - ich fragte mich, ob diese halbe Minute verhindert hätte, dass ich Thomas begegnet wäre. 
Heute Morgen stieg ich aus dem Bett und sah 12 neue Nachrichten auf meinem Handy-Display erscheinen: Eine von meinem Freund und eine von Ronnie, die sich Sorgen machte, warum ich es gestern so eilig gehabt hatte, zu verschwinden. Und 10 Nachrichten von Thomas. 4 Anrufe seit heute Morgen. 16 SMS. Ich habe das Haus nicht verlassen. Bin nicht auf die Tattoo-Convention. Habe Jules abgesagt und mich zu Haus verbarrikadiert. Gedanken können befreien, aber sie können auch den Körper und Geist einkesseln. Und Paranoia wird plötzlich eine Behinderung.

9 Kommentare:

  1. Oh Gott, das klingt ja schrecklich! Es ist gut, dass du deinem Gefühl treu geblieben bist und den Typen als gefährlich eingestuft hast. Auch wenn er deine Nummer trotzdem bekommen hat, hast du erstmal richtig gedacht und gehandelt. Ich hoffe, dass er sich nicht als gemeingefährlicher Stalker entpuppt, ich hoffe es wirklich. Oh Gott, Elena, ruf deinen Rreund an oder so, aber 26 SMS und 4 Anrufe sind echt unnormal. Sei vorsichtig und pass auf dich auf!

    AntwortenLöschen
  2. Ich weiß auch nicht, ob Paranoia da der richtige Ausdruck ist. Denn deine Sorge ist da offensichtlich berechtigt. 26 SMS und 4 Anrufe in 24h sind schon sehr besorgniserregend. Thomas zu unterstellen, dass er ein psychopathischer Stalker ist, der eine wirkliche Gefahrenquelle bedeutet, würde ich persönlich noch nicht wagen, aber ich würde an deiner Stelle es auch nicht drauf an kommen lassen, es heraus zu finden. Erzähl es auf alle Fälle jemanden und versuche wenigstens für ein paar Tage so oft wie möglich jemanden um dich herum zu haben. Ich würde auch nicht auf die Anrufe reagieren. Ich kenne mich nicht aus, welcher Schritt da am Sinnvollsten ist, aber ich würde ihn einfach ignorieren und mich nicht in meinem Alltag beeinflussen lassen.
    Ich hoffe, er hört bald auf und lässt dich in Ruhe! Ich hoffe wirklich, du passt auf dich gut auf!
    Billie

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke Billie für die schnellen und vor allem guten Ratschläge! Es ist extrem beruhigend, zu wissen, dass jemand die Ruhe und Vernunft bewahrt und sowieso einfach jemand da ist. Ich danke dir wirklich sehr für den Seelenbeistand.

      Löschen
  3. Danke, Elena! Ehrlich, danke! Aber sorge dich mal momentan nicht um meinen Arsch, sondern um deinen :)
    ♥♥♥

    AntwortenLöschen
  4. oh mein gott was für ne krasse geschichte, der typ hört sich ja richtig gruselig an. ich hoffe, dass dem kerl sehr bald die geduld daran vergehen wird, dich anzurufen und dass du ihn nicht nochmal sehen wirst!
    und in nürnberg bin ich öfters. irgendwie dachte ich mir, dass du aus der nähe kommst. also falls du in der nähe von nürnberg wohnst ..

    AntwortenLöschen
  5. Liebe Elena,
    Ich hab dir ne Mail Geschickt mit meinem Foto ich hoffe das geht...

    Ja ich schreib dir mal was ich mir so vorstelle.
    Also es soll ein Mädchen sein mit Lockigen Haar. Einem seitlichen ponny wenns geht.Und um diesem Mädchen fliegen verschiedene Masken rum. Eine davon hält sie in der Hand. Um ihr rum flogen nur positive Masken rum . Das Gesicht des Mädchens soll traurig ausschaun. Mit zugenähtem Mund. Denn das Mädchen fühlt sich unter all den Masken nicht wohl. Viel Lieber wäre sie sie selbst.

    Ich hoffe du hast ne leichte Vorstellung. Ansonsten stell einfach fragen.

    Was den Typen angeht. Pass auf dich auf.

    Vielleicht wäre es sinnvoll ihn zu sagen das du kein Interesse hast, wenn er weiter nervt.
    Aber wichtig , sprich mit jemanden drüber.

    Hab dich lieb <3

    AntwortenLöschen
  6. Paranoia?
    Einer Freundin meinerseits ist einmal ähnliches passiert, sie ging mit ihm auf einen Kaffee (sie ist einer dieser Menschen die zu jeder spontanen Idee "Ja" sagt) und ein paar Tage später entpuppte er sich tatsächlich als Stalker der dann sogar bis in ihre Wohnung eindrang. Aber das war eine andere Geschichte mit ganz anderem Verlauf - ich schätze hier bist du sicher, wenn man von dem Psychoterror den er sehr offensichtlich veranstaltet absieht.
    Was ich dir sagen will ist: Du hast nicht falsch reagiert. Wir werden dazu erzogen freundlich zu sein und grad Männer sind oft solche Arschlöcher, die sich von einem "Nein" nicht abschrecken lassen, als würde man damit sagen "Nein, aber versuche es weiter". Und auch deine Angst ist nicht fehl am Platz, ganz und gar nicht.
    Hab für's nächste Mal einfach keine Angst unhöflich zu sein, gerade im öffentlichen Raum hast du jeder Recht dazu die Grenzen zu dir und deiner Person klar abzustecken. Und bitte um Hilfe. Bei fremden Menschen und Personengruppen. Wenn man bei einer Menschengruppe Zuflucht sucht, mit der klaren Aussage "Entschuldigung, ich will Sie nicht stören, aber ich bin alleine hier und der Mann belästigt mich." wird geholfen werden. Ganz sicher. Wegsehen ist nur vor so einer Aufforderung leicht.
    Fühl dich umarmt meine Liebe. Und hab keine Angst - du kannst dich wehren. Und du hast jedes Recht dazu.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke fürs rationale Denken, das fehlt mir momentan nämlich... Ich glaube mittlerweile auch nicht mehr, dass er sich als Gefahr entpuppen wird, ich bin aber trotzdem vorsichtig und bemühe mich, nicht allzu naiv und leichtsinnig durch die Straßen zu gehen. Er ruft zwar weiterhin täglich mehrmals an, schriebt SMS, in denen steht, er wüsste, wo ich wohne, aber ich habe ihn noch kein einziges Mal wieder gesehen. Bisher habe ich ihm nicht geantwortet, weil ich meinte, ihm ausreichend darüber informiert zu haben, dass ich kein Interesse habe, aber so langsam spiele ich mit dem Gedanken, auf eine seiner Nachrichten zu antworten, denn vielleicht denkt er, ich sei eine dieser Frauen, die Nein sagen, damit der Mann um sie kämpft und nicht locker lässt. Vielleicht würde ihn ein klares NEIN dazu bringen, einfach aufzuhören. Ich weiß es noch nicht, ich muss noch nachdenken, aber vorerst gehe ich wieder auf die Straße und denke nicht pausenlos daran, überfallen zu werden. Auch wenn es damals kein übereilter Angriff war, als ich vergewaltigt wurde, erinnert das Gefühl doch schon sehr an das Gefühl von damals. Auf die Courage von Mitmenschen, wenn ich sie direkt darauf anspreche, verlasse ich mich jedes Mal, wenn ich vor die Tür gehe, aber ich bin auch (vorerst) oft mit Freunden unterwegs, um einfach heikle Situationen vorzubeugen, und ich glaube, da bis jetzt nichts passiert ist, kann ich wieder anfangen, normal durch die Straßen zu gehen. Danke jedenfalls für deine Hilfe und Beistand!

      Löschen
  7. Schon okay, ich bin ja selbst jemand der immer etwas später antwortet ^^. Antworte wann immer dir danach ist ^^.
    Ich habe meine Mutter noch nicht aufgegeben. Ich glaube ganz fest daran das sie irgendwann wieder Lachen kann.
    Liebe Grüße,
    Maroua xoxo

    AntwortenLöschen

Vielen Dank für jeden Kommentar ♥
Ich behalte es mir allerdigs vor, Anfragen auf gegenseitiges Verfolgen etc entweder zu ignorieren, entzürnt zu reagieren oder es einfach zu löschen. Comprende?