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When the ship is thinking

Ich halte mich ganz bedeckt im Hintergrund, starre die Auslagen an, stelle mathematische Gleichungen an, winke neue Kunden vor, um den Wachstum nicht aufzuhalten. Schließlich ordne ich mich ein, kaue einen Fingernagel nach dem anderen ab mit jedem Schritt, den es vorwärts geht. "Dieses Sandwich dort bitte", teile ich meinen Wunsch der apathischen Verkäuferin mit. Als sie mir die Papiertüte über die Vitrine reicht und ds Geld entgegen nimmt, sieht sie mich mit einem zufriedenen Lächeln an, das mich an stillende Mütter im Stadtpark erinnert. "Außerdem einen grünen Tee", entschließe ich mich fast überstürzt. Ich möchte mir heute etwas gönnen. Ich werde an den nächsten Thresen weitergeleitet, nehme dort meinen Tee entgegen und balanciere ihn zum nächsten runden Tisch, schaue mich davor aber noch einmal um, um mich zu vergewissern, dass genug Tische frei sind und ich niemandem den Platz wegnehme. Das Sandwich lege ich direkt vor mich, lege die Hände um die Tasse herum und spüre sofort, wie mich die Wärme erreicht. Wie eine Mutter, die einem die Hände reibt und anbläst. Ich schaue zur Verkäuferin herüber, die nun wieder mit kalter Mine den Business-Männern ihre Mittagsessen überreicht. So viele Menschen hier, deke ich mir, die mich beobachten - ich kann hier nicht essen. Als ich meinen Tee ausgetrunken habe setze ich mich draußen auf eine Parkbank und legte die Tüten mit dem Essen auf meinen Schoß. Der taube Geschmack des Beuteltees liegt noch auf meiner Zunge. Vorsichtig, als wäre es eine verletzte Taube, ziehe ich das Sandwich aus der Tüte. Gefaltet lege ich die Tüte neben mich, kann mit den Augen aber nur das Sandwich anschauen. Wie besessen starre ich auf das Sandwich. Ein Ciabatta-Brot, oben und unten. Dazwischen Mozzarella, Tomaten, Salat, Gouda und Oliven. Vermutlich noch Gewürze und Mayonnaise. Ich schließe kurz die Augen und genieße den Geruch, ziehe jeden Belag einzeln durch die Nase ein. Ich gönne mit heute etwas.  Schließlich lasse ich die Schultern bedauernd sinken und lege die Brothälfte, die ganz oben lag, auf die Papiertüte neben mir, schön parallel zum Rand. Behutsam fische ich jede einzelne grüne Olive herunter und lege sie neben der Brothälfte gerade in eine Reihe. Danach sind die Gouda-Scheibe dran. Kurz lege ich das Sandwich auf meine Oberschenkel und die Käsescheibe in beide Hände. Ich betrachte sie von oben und unten und rolle sie zusammen. Ich kichere, als wäre daran etwas lustig. Wie ein Stück Papier, das sich wellt, wenn es ins Wasser fällt. Mit den Fingerspitzen der einen Hand nehme ich das Röllchen hoch und lege es auf die andere offene Handfläche, wo es aufspringt. Ich kichere wieder irrsinnig und lege die Käsescheibe neben die Oliven. Das restliche Sandwich hebe ich wieder auf und lege die zwei Salatblätter ebenfalls gerade arrangiert auf die Papiertüte. Ebenso tue ich es mit den Tomaten und dem Mozzarella. Die Unterseite des Ciabattas ist ganz durchweicht, teilweise rot eingefärbt von den Tomaten. Ich stelle mir vor, wie dieses durchweichte Weißbrot zwischen den Zähnen dahinschmelzen könnte. Um mich nicht dahinreißen zu lassen, schabe ich die Mayonnaise ab und pule außerdem mit den Fingernägeln das weiche Innere des Brotes aus. Ich forme es zu Kugeln, die ich alle auf die Straße vor mir schnipste, wie beim Boule versuchte ich alle folgenden an die erste Kugel so nah wie möglich heran zu bekommen. Die fetten Stadttauben sammeln sich schon gurrend um mich herum. Das übrig gebliebene halbe, ausgehölte Boot aus der Kruste lege ich umgekehrt auf die Tüte, wo es nicht herunter rutscht. Dieselbe Prozedur erlaube ich mir mit dem Deckel. Die letzte meiner Kugeln kommt am Nähsten an die erste heran. Die Schale lege ich zu der anderen und widme mich den Oliven. Wie kleine Rettungsringe sehen sie aus. Ich schmunzle bei der Vorstellung, wie dünn man sein musste, um sich von ihnen retten lassen zu können. Ich tue mir sehr schwer, die Schale mit den Fingernägeln abzukratzen, am Ende bleiben sowieso nur zerrissene Fetzen übrig. Ich schmeiße sie den Tauben hin. Die Salatblätter zerreiße ich in dünne Fäden, immer an den Sehnen entlang, und lege sie dann wieder auf die Papiertüte. Den Räder-artigen Tomaten reiße ich die Speichen aus und lasse sie auf den Boden fallen. Das Ergebnis sind Kreise, die fast perfekt um die Mozzarella-Scheiben passten. Ich betrachte mein Kunstwerk eine Weile. Ich starre das Essen an, hebe einen Ast vom Boden auf und stecke ihn in die Mitte des ausgeholten Bugs. Der Käse wird mein Segel, die Salatstriemen flechte ich zu Rudern, die Tomaten die Rettungsringe, und der Mozzarella das Steuer. Mit einem Kouros-gleichem Lächeln mache ich mich zum Burggraben auf, wo die Pegnitz hindurch verläuft und platziere das Boot auf der seichten Wasseroberfläche. Das Boot treibt kurz in die Mitte des Flusses, wird von der Strömung mitgerissen. Wie ein Kind laufe ich jauchzend daneben her, beobachte, wie die Wellen sich zart an mein Schiffchen schmiegen. Doch plötzlich schlagen die Wellen in eine peitschende Kraft um, die schließlich das mit Wasser vollgesogene Brot und Insassen zum kentern bringt. Es sinkt, nur die Tomaten kringeln sich in den Windungen der Wellen weiter.

14 Kommentare:

  1. Ich nehme diesen Text von Dir ganz anders war, als all die anderen. Er hat etwas kindliches, verspieltes, ich weiß nicht wie ich es elegant ausdrücken sollte - doch zugleich ist da dieser schwarze Schleier, es scheint wie Kinderlachen, das Stück für Stück von der Dunkelheit verschluckt wird. Fast würde ich die Situation, die du dort beschreibst, als eine Reaktion deines Körpers bezeichnen, dabei kann ich aber nur von mir selbst ausgehen. In meinem Fall zeige ich derartige, ähnliche Reaktionen als Zeichen einer Überforderung. Ich weiß nicht was ich mit dem Essen anfangen soll und desto mehr sich meine Gedanken darüber miteinander vermengen und ich zu keinem Schluss kommen kann, desto wirrer wird meine letztendliche Reaktion. Schlussendlich ist das Ziel, das Essen loszuwerden, die eigentliche Überforderung von sich wegzuschieben, samt der Krankheit und den Bedürfnissen des eigenen Körpers. Ich kann dich sehr gut nachvollziehen, besonders bezüglich der Tatsache, dass es dir scheinbar unangenehm ist in der Öffentlichkeit zu essen bzw. vor vielen Menschen. Die Atmosphäre beim Essen ist ungemein wichtig in solchen Situationen. Beschäftigt man sich zu sehr mit dem Essen, ist man irgendwann überfordert. Ein wenig Ablenkung kann vorteilhaft sein, und nicht eine Mahlzeit komplett, sondern in Teilen einzunehmen. Ich weiß nicht ob dir das helfen würde, aber du könntest dich dazu bewegen, einen Bissen vom Sandwich zu essen und ihn danach wegzupacken, nicht nur aus deiner Reichweite, sondern auch aus deinen Gedanken. So werden die Gedanken beim Essen nicht immer größer. Wenn du dich wieder in der Lage fühlst, nimmst du den nächsten Bissen zu dir. Viel Kraft ♥
    Ich danke dir für die vielen, lieben Kommentare und, dass du so auf die Texte eingehst. Damit freue ich mich nicht nur über ein liebes Kommentar, was mir Kraft gibt, sondern erkenne auch neue Perspektiven, denke darüber nach und kann oft hilfreiche Schlüsse daraus ziehen. Zu deinem letzten Kommentar möchte ich sagen, dass du weitaus mehr als ein 'Punkt' bist, für den es sich 'lohnt', weiterhin Gast auf dieser Welt zu bleiben, weiterzukämpfen. Du bist für mich ein sehr besonderer und interessanter Mensch, obwohl ich dich kaum kenne. Und ich hoffe, dass ich deinen Weg noch so lange wie möglich mitverfolgen und dir vielleicht das ein oder andere Mal einen hilfreichen Rat geben kann. Hier ist nämlich auch noch ein Punkt, der oft an dich denkt und für den du sehr wichtig bist. :)

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  2. Die Faszination an dem, was man zum Überleben brauchen, ein Mittel, ein Lebensmittel.
    Die Faszination, diesem Mittel widerstehen zu können, es nicht zu brauchen, es zu einem anderen zu machen, damit zu spielen und es vor den Augen langsam versinken zu lassen, sich stärker fühlen wollen, die Luft anhalten um sich selbst zu beweisen, dass man kann, wenn man nur will, dass man den Reflexen und beinahe animalischen Instinkten überlegen ist.

    Und dann, irgendwann, mit dem Schiff versinken, untergehen, weil die Logik, von der man denkt, sie halte über Wasser, am Ende die ist, die zu schwer ist, die untergehen lässt, verschwinden lässt, zu der Luft werden lässt, die man nie atmen wollte.

    Du hast das wunderbar beschrieben. Was für ein Gänsehaut-Text.

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  3. ich weiß nicht genau warum
    aber dieser text berührt mich zutiefst.
    ich finde ihn wichtig, sehr wichtig für diese welt.
    ich will ihn in mein herz verstauen
    und nie wieder daraus wegpacken.
    du bist eine künstlerin der worte,
    ich kann es nicht oft genug sagen,
    tut mir leid
    wenn ich mich
    immer wieder
    wiederhole.

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  4. When the ship is sinking... hm. ich schätze es bei dir immer, dass du raum für eigene interpretationen lässt, wenn du gleichungen anstellst. ich habe festgestellt, dass jeder die parallelobjekte für sich selbst interpretiert, auf eine andere weise, und aber trotzdem erscheint es, als hättest du das alles beabsichtigt, als hättest du das alles beabsichtigt in die definitionsmenge gepackt. ich bin schon ehrlich gespannt, was die leute alles in diesem "Schiff" sehen werden. Das liebe ich so sehr an diesen Schriftstücken - du erweckst in jedem von uns etwas.
    Billie (:

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  5. Ich Liebe auch Grünen Tee <3

    Ich hab dir ne Email geschrieben :-*

    Drück dich & wünsche dir vom Herzen das du irgendwann in ein Brötchen beißen kannst ohne es vorher auseinanderzunehmen.

    Deine Amy

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  6. Wow.. ich bin gerade auf deinen Blog gestoßen und ich liebe ihn schon jetzt. Du kannst so wunderschön schreiben! Ich liebe es wie du mit Worten umgehen kannst :) Wundervoll.
    <3

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  7. Vielen Dank :)

    Ich muss etwas ändern.. unbedingt. Ich weiß nur gerade nicht wie. Immer wenn ich versuche mich zusammen zu reißen und mehr zu essen halte ich es dann doch nicht aus.. dabei war ich schon so viel weiter. Hatte das mit dem Essen schon so viel besser im Griff. Ich bin auch in Therapie und habe das Thema vor zwei Wochen das erste mal angesprochen, obwohl es für mich in einer Therapie kaum etwas schlimmeres gibt, als zuzugeben, dass ich ein Problem mit dem Essen habe. Bis jetzt bin ich aber was das angeht irgendwie nur am Erklären und es macht mich so fertig, darüber zu sprechen.

    Wie kommst du denn damit klar? Ist jeder Tag so schwer, wie es in der Geschichte beschrieben ist?
    Ich hoffe nicht <3

    Alles Liebe!

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  8. Oh mein Gott.. das ist ja wirklich heftig.. Vielen Dank, dass du es mir nochmal erzählt hast. Es tut mir wirklich leid, dass die Magersucht deinem Körper schon so viel angetan hat. Und noch mehr, dass dir das mit dem Autounfall und der Reanimation passieren musste. Ist deine Herzfunktion jetzt sehr eingeschränkt? Es ist erschreckend und gleichzeitig zeigt es die ganze Wahrheit, was eine Essstörung dem Körper an tun kann. Ich kann mit gut vorstellen, dass diese Nahtoderfahrungen einiges daran ändert, wie man das Leben und das Sterben sieht und wie gefährlich man sich auf der Grenze zwischen diesen beiden Zuständen bewegt. Ich würde dir wünschen, dass du diese Erfahrung niemals hättest machen müssen, und doch bin ich froh, dass sie etwas für dich ändern konnte. Denn ich denke, das war ganz dringend notwendig. Es ist an sich traurig, dass man nur gut zu sich sein kann, wenn man spürt, wie sehr man sich schon geschadet hat, aber auch das kann ich irgendwie verstehen. Es wäre so wichtig, dass du wieder öfter essen könntest.. aber das brauche ich dir sicher nicht zu sagen. Ich hoffe, dass dein Herz stark bleibt. Und dass du für dein Herz stark bleibst.
    Ich denke, dass man das Hungern auf jeden Fall als Teil des Sterbens ansehen kann. Es ist wie ein Selbstmord auf Raten.

    Es tut mir leid, dass du auch nie ein Zuhause hattest und es ist wirklich schade, dass du noch immer keines finden konntest. Ich hoffe, dass du dir irgendwann eines aufbauen kannst. Ein Zuhause zu haben kann so unglaublich heilsam sein, vorallem wenn man sich so lange nirgends zugehörig fühlen durfte, nie einen Ort hatte, an dem man sich sicher gefühlt hätte.
    Ja ich habe mit meinem Papa darüber geredet.. das letzte Mal als sein Onkel zu Besuch war habe ich es nicht ausgehalten und bin in eine Klinik. Kriseninterventionsmäßig, bis er wieder weg war. Und in dieser Zeit hatte ich einmal ein langes Gespräch mit meinem Papa. Es hat mich so viel Mut und so viel Kraft gekostet, aber ich habe ihm beschrieben, wie es sich angefühlt hat bestimmte Teile von dem was mit passiert ist zu erleben, welche Erinnerungen sein Onkel bei mir weckt und warum ich es nicht aushalte mit einem Menschen, der derartiges getan hat in einem Haus zu leben. Es hat ihn interessiert und ich glaube, dass er mich seitdem besser versteht. Aber er erlaubt seinem Bruder trotzdem noch bei uns zu wohnen, wenn er in Deutschland ist (er ist nach Griechenland ausgewandert). Das tut leider noch mehr weh, wenn man so viel von sich preisgegeben hat und sich so sehr überwunden hat, um ihm diese Dinge erzählen zu können.

    Weißt du, das soll jetzt nicht komisch klingen, aber ich kann mir schon vorstellen, dass ich einem Menschen, der in so einer Situation ist, helfen könnte. Weil ich ihn verstehe, weil ich weiß wie es sich anfühlt und worauf es ankommt. Ich kann aber keinem Menschen in der Situation helfen, weil ich selbst es nicht aushalten würde. Ich halte es nichtmal aus mich zu erinnern, ich halte es auch nicht aus, wenn im Fernsehen eine Person in einer ähnlichen Situation ist. Diese Wunden sind irgendwie einfach noch zu tief, noch nicht annähernd verheilt, sie haben noch immer die Macht mich komplett umzuwerfen.
    Und im allgemeinen finde ich es immer noch mal schlimmer wenn Kindern so etwas passiert. Sie sind auf ihre Eltern angewiesen, sie sind ihnen ein Stück weit hilflos ausgeliefert. Und zugleich kann man in ihren kleinen Seelen so schnell so viel kaputt machen.

    Alles Liebe <3

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  9. Schade das wir nicht mehr schreiben.

    Alles gute wünsche ich dir <3

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  10. Nein Liebes, das soll kein Abschied sein.
    Ich vermute nur das meine Worte Grad zu viel für dich sind, weil wir in etwas ähnlichem stecken.

    Ich denke trotzdem jeden Tag an dich meine Fee <3

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  11. du schreibst, wie du zeichnest. zeichnest Linien, exakte, eindeutige, behutsam und langsam und man kann beobachten, ohne zu verstehen. so schwarz, dass es fast vollkommen ist, am ende ist alles diffus. keine einfache Störung im weiß mehr, keine Unruhe, sondern komplett und eingenommen davon. ein friedliches Bild, eine Erinnerung, die nicht an sich böse oder dunkel ist, es ist keine herausgeschrieene Bedeutung darin, das traurige ist viel subtiler, es ist irgendwo zwischen der Erzählweise und dem Kontext.
    Kloß im Hals, aber die Realität ja nicht verlieren. du schaffst es so gut, ohne etwas zu kommentieren, ein reiner Dokumentarfilm, keine besonderen Kamerawinkel, kein einspann und abspann, es ist einfach da.

    _______
    das Thema des seminars war "geschichte im Film - Widerstand gegen den Nationalsozialismus", also eine filmanalyse, und darauf gekommen bin ich ehrlich gesagt, weil der Lehrer es vorgeschlagen hat... aber im Laufe der Arbeit hat es mich dann doch ziemlich fasziniert. das Problem waren die Formalitäten du die miserable Planung, ich habe sie praktisch fünf Minuten vor Abgabe fertig gestellt... und du? Wie war das bei dir? (ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass du schon eine geschrieben hast)

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Vielen Dank für jeden Kommentar ♥
Ich behalte es mir allerdigs vor, Anfragen auf gegenseitiges Verfolgen etc entweder zu ignorieren, entzürnt zu reagieren oder es einfach zu löschen. Comprende?