"Könnte bitte jemand von euch auf die Straße gehen und die Sanitäter hier rein lotsen? Sie müssten in spätestens 10 Minuten kommen." Keiner reagiert. Alle starren in die Mitte des Raums, wo Ronnie, Jo und ich uns in einer Blutlache befinden. Ich schaue in die Runde, schaue jedem einzelnen in die Augen, in der Hoffnung, dass sich irgendeiner meldet. Aber enteder entsetztes Kopfschütteln oder ein flüchtendes Abwenden des Blicks. "Izzy? Peter? Joe? Jana?" Ich rufe Namen auf, spreche sie an, aber keiner erklärt sich bereit. Das Höchste, was ich bekomme, ist ein "Aber ich bin vollkommen high und betrunken! Ich kann doch nicht den Bullen in die Arme laufen!" von Peter. Und plötzlich wird es wieder laut. Ronnie hebt den Kopf und fährt Peter mit einer nie dagewesenen Aggression und Lautstärke an, dass alleine die Schallwellen Jo wiederbeleben könnten. In Anbetracht seines Zustand steht Peter blitzschnell auf der Straße vor dem Haus. Aber als seine Schritte im Treppenhaus verebbt sind, herrscht wieder absolute Stille. Es kommt mir wie ein Tornado vor, als meie Tränen auf meine blutigen Hände tropfen. Ich schaue erst Ronnie an, die sich wieder über Jo gebeugt hat, und schlielich Jo's lebloses Gesicht. Die Tränen steigen in mir auf, ich kann nun nichts mehr zurück halten. Am Liebsten würde ich ihm ebenso um den Hals fallen und rütteln und schütteln und beten, dass das alles nur ein Scherz ist. Es stimmt nicht, dass einem vor dem Tod die Bilder seines Lebens vorbei ziehen. Ich weiß es, ich war schon einmal tot. Man sieht nur Schwarz. Diejenigen, die die Bilder an sich vorbei ziehen sehen, sind die Menschen, die zurück bleiben. Ich sehe jede einzelne Sekunde mit Jo vor meinem inneren Auge vorbei ziehen. Sein Lachen hallt in meinem Ohr wie ein schlechter Sountrack unterlegt mit sentimentalen Klavier-Akkorden wieder. Nach außen hin muss ich aussehen wie eie Wahnsinnige. Mein Kinofilm wird unterbrechen, als mich rote Männchen zur Seite schieben wie ein Möbelstück, das an der falschen Stelle steht. Sie reißen Jo das Hemd auf, pumpen an ihm herum, aber das Scheitern ist doch schon von Anfang an vorprogrammiert. Ich erlebe alles nur hinter einem Schleier. Ich bin nicht wirklich anwesend. Die Bewegungen der Sanitäter sind so mechanisch, so stockend. Wie in einem YouTube-Video, und ich wünschte, ich könte einfach auf Pause drücken, mich sammeln, warten, bis der graue Balken lädt, und dann das alles mit anderen Augen, mit einer anderen Wahrnehmung mitbekommen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ich könnte schwören, es war Jo, der mir noch einmal eine Kopfnuss gibt und dann verschwindet. Ich sehe seinen Arm, wie er unter den Bewegungen herum tanzt, als wäre er voller Lebensgeist. Er blutet nicht einmal mehr. Blutleer oder lebensleer? Er ist tot. Das sagen auch die Fachleute. Ich sehe die vertikalen Striche an seinem Arm. Er wollte sterben, und zwar ernsthaft. Ich habe in meinem Leben einen Haufen Leute kennen gelernt, die sich das Leben nehme wollten, aber selbst diese konnte man in zwei Sorten aufteilen: Die einen, die wirklich sterben wollten, und die anderen, die gerettet werde wollten. Sorte zwei hängt sich an Zahnseide auf und schneidet waagrecht, Sorte eins nimmt Stahlseil und schneidet senkrecht. Jo wollte sterben. Und er hatte die Badezimmertür abgeschlossen. Ich sitze hier und schreibe diese Worte, und überlege, dass er im Kreis seiner Freunde gestorben ist. Er war wie wir alle eine obdachlose Seele, ohne Familie und in einer Welt gefangen, die keiner so recht durchblickt. Wir alle sind die "Sons of Rage and Love". Wir haben ähnliche Schiksale und kämpfen uns durch das Leben, aber wir belügen uns gegenseitig. Jeder kämpft sein eigenes Leben uns indem wir so tun, als wären wir durch unser Schicksal irgendwie verbunden, hintergehen wir uns selbst. Wir sind alles Heuchler und Hochstapler. Keiner hatte eine Ahnung, was in Jo vorging. Man kann es so sehen, dass er seine Freunde um sich haben wollte, oder man kann es so sehen, dass er seinen Suizid perfekt inszeniert hat und uns demonstrieren wollte, wie wenig wir ihn kannten und dass wir nie richtige FReunde waren, denn keiner hatte gemerkt, dass er seit 15 Minuten tot im Bad lag, während wir uns in unserer naiven Parallelwelt suhlten.
It's too late to talk to you
And it's too soon to say good-bye
Listen where ever you may be
You still live inside my mind
Something tells me that you are free again
In a place that feels like home
It's never easy to understand
Why memories hold our hand
But people let go
And it's too soon to say good-bye
Listen where ever you may be
You still live inside my mind
Something tells me that you are free again
In a place that feels like home
It's never easy to understand
Why memories hold our hand
But people let go
No Use For A Name - Feels Like Home
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AntwortenLöschenIch traue mich angesichts der vorangegangenen Kommentare kaum zu schreiben. Deine Erzählung (heimlich hoffe ich auf Geschichte)...
AntwortenLöschenEs tut mir Leid. Es tut mir Leid, für dich, für Ronnie- vor allem für Jo. Mehr als ich sagen kann.
Kodolenz klingt meisten falsch und nur selten richtig aber: Ich wünsche dir und den anderen alle Kraft die ihr nun braucht.
das finde ich jetzt aber auch irgendwie komisch. hier steht, dass du gerade einen guten freund verloren hast, da dieser sich sozusagen in deiner anwesenheit umgebracht hat und alles was hier an kommentaren zu lesen ist, ist, dass du toll schreiben kannst (was nebenbei wirklich wirklich stimmt!) und diskussionen über musik. finde ich irgendwie unpassend.
AntwortenLöschenes tut mir sehr leid für dich und auch ich wünsche dir ganz viel kraft, und dass du diese schrecklichen bilder irgendwann mal vergessen kannst.
traurig, dass ich deinen blog erst jetzt entdeckt habe, oder eher gesagt, dass du mich mit deinem lieben kommentar hier hingeführt hast und ich nun nach so einem schrecklichen erlebnis leserin deines blogs werde. ich hätte mir einen fröhlicheren "anfangspost" gewünscht. aber dein blog ist echt mit einer der besten (in vielerlei hinsicht), die ich je gelesen habe ♥
Ich wollte dir eigentlich für deinen lieben Kommentar danken... aber, jetzt bin ich doch etwas sprachlos. Ich würde dir gerne helfen, da ich aber nicht wirklich weiß wie und denke, dass du auch nicht wirklich auf die Mitleidsmasche stehst, kann ich dir nur sagen, dass mir das unendlich leid tut. Bleib stark!
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